VERFASSUNG
DER FREIEN STADT DANZIG vom
17 November 1920 ERSTER
HAUPTTEIL. AUFBAU
DES STAATES I.
Allgemeines Art. 1 – Die
Stadt Danzig und das mit ihr verbundene Gebiet bilden unter der Benennung
"Freie Stadt Danzig" einen Freistaat. Art. 2 – Das
Staatswappen zeigt im roten Schilde zwei übereinanderstehende silberne Kreuze,
über denen eine goldene Krone schwebt. Sie
Staatsflagge und die Handelsflagge zeigt auf rotem Tuch im ersten Drittel, von
der Flaggenstange an gerechnet, parallel zu dieser zwei weiße Kreuze
übereinander und darüber eine gelbe Krone. Art. 3 – Die
Staatsgewalt geht vom Volke aus. Art. 4 – Die
Amtssprache ist deutsch. Dem polnisch
sprechenden Volksteil wird durch die Gesetzgebung und Verwaltung seine freie
volkstümliche Entwickelung, besonders der Gebrauch seiner Muttersprache beim
Unterricht, sowie bei der inneren Verwaltung und der Rechtspflege
gewährleistet. Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt. Art. 5 –
Ohne vorherige Zustimmung des Völkerbundes in jedem einzelnen Falle darf die
Freie Stadt nicht: 1. als
Militär- und Marinebasis dienen, 2.
Festungswerke errichten, 3. die
Herstellung von Munition oder Kriegsmaterial auf ihrem Gebiete gestatten. II.
DER VOLKSTAG Art. 6 – Der
Volkstag besteht aus einhundertzwanzig Abgeordneten. Art. 7 – Die
Abgeordneten zum Volkstag sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem
Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden. Art. 8 – Die
Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl
von den über zwanzig Jahre alten männlichen und weiblichen Staatsangehörigen
nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wählbar zum
Abgeordneten ist jeder Wahlberechtigte, der das fünfundzwanzigste Lebensjahr
vollendet hat. Von der
Ausübung des Wahlrechts ist ausgeschlossen: a) wer
entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft steht oder sich in
Fürsorgeerziehung befindet; b) wer
infolge eines rechtskräftigen Urteils der bürgerlichen Ehrenrechte ermangelt. Art. 9 – Die
Wahl des Volkstages erfolgt auf vier Jahre. Gewählt wird an einem Sonntag des
Monats November. Die Amtsdauer läuft vom 1. Januar des der Wahl folgenden
Jahres. Das Nähere
bestimmt das Wahlgesetz. Art. 10 –
Über Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten entscheidet das
oberste Gericht der Freien Stadt Danzig auf Grund öffentlicher mündlicher
Verhandlung. Zur Erhebung
des Einspruchs ist jeder Wahlberechtigte befugt. Der Einspruch ist binnen vier
Wochen nach der amtlichen Feststellung des Wahlergebnisses bei dem Obersten
Gericht der Freien Stadt anzubringen und zu rechtfertigen. Dem Volkstag
sind die abgeschlossenen Akten über die Wahl der Abgeordneten vorzulegen. Entstehen
Zweifel darüber, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Mitgliedschaft
vorhanden sind, so entscheidet auf Verlangen des Volkstages das Oberste Gericht
der Freien Stadt Danzig. Art. 11 –
Der Volkstag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und seine
Schriftführer; er gibt sich eine Geschäftsordnung. Art. 12 –
Der Volkstag tritt auf Berufung seines Präsidenten zusammen. Der Volkstag muß
berufen werden, wenn der Senat es verlangt, oder wenn wenigstens ein Sechstel
der Mitglieder unter Darlegung des Zweckes es schriftlich beantragt. Er tritt zum
erstenmal spätestens am 15. Januar auf Berufung des Senats zusammen. Art. 13 –
Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Volkstagsgebäude aus.
Ihm untersteht die Hausverwaltung; er verfügt über die Einnahmen und Ausgaben
des Hauses nach Maßgabe des Staatshaushalts und vertritt die Freie Stadt in
allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten seiner Verwaltung. Art. 14 –
Der Volkstag verhandelt öffentlich. Auf Antrag des Senats oder von mindestens
einem Sechstel der Mitglieder kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit
ausgeschlossen werden. Art. 15 –
Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in einer öffentlichen Sitzung
bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Art. 16 –
Der Volkstag ist beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte der gewählten
Abgeordneten anwesend ist. Art. 17 – Zu
einem Beschluß des Volkstages ist einfache Stimmenmehrheit erforderlich, soweit
nicht die Verfassung etwas anderes vorschreibt. Art. 18 –
Der Senat ist zu jeder Sitzung des Volkstages einzuladen. Die Mitglieder und
die Beauftragten des Senats müssen in den Sitzungen jederzeit gehört werden.
Sie unterstehen der Ordnungsgewalt des Präsidenten. Der Volkstag
und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Senatsmitgliedes verlangen. Art. 19 –
Der Volkstag ist berechtigt, vom Senat Auskunft über alle Staatsangelegenheiten
zu begehren und sich von der Ausführung seiner Beschlüsse und von der
Verwendung der Staatseinnahmen zu überzeugen. Die Gegenstände, über die
Auskunft verlangt wird, sind dem Senate vorher schriftlich mitzuteilen. Der Volkstag
hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel seiner Mitglieder die Pflicht,
Untersuchungsausschüsse einzusetzen, wenn die Gesetzlichkeit oder Lauterkeit
von Regierungs- oder Verwaltungsmaßnahmen angezweifelt wird. Die
Untersuchungsausschüsse dürfen in ein schwebendes gerichtliches oder
Disziplinarverfahren nicht eingreifen. Diese Ausschüsse erheben in öffentlicher
Versammlung die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich
halten. Die Öffentlichkeit kann vom Untersuchungsausschuß mit Zweidrittelmehrheit
ausgeschlossen werden. Die Geschäftsordnung regelt das Verfahren des
Ausschusses und bestimmt die Zahl seiner Mitglieder. Die Gerichte und
Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um
Beweiserhebungen Folge zu leisten. Die Akten dieser Behörden sind ihnen auf
Verlangen vorzulegen. Auf die Erhebungen der Ausschüsse und der von ihnen
ersuchten Behörden finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäße
Anwendung; doch bleibt das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis
unberührt. Art. 20 –
Niemand darf wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes
als Abgeordneter getanen Äußerungen gerichtlich oder auf dem Dienstwege
verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.
Art. 21 –
Kein Abgeordneter darf ohne Genehmigung des Volkstages wegen einer mit Strafe
bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn,
daß der Abgeordnete bei Ausübung der Tag oder spätestens im Laufe des folgenden
Tages festgenommen ist. Die gleiche Genehmigung ist erforderlich bei jeder
anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit, wodurch die Ausübung des Berufs
als Abgeordneter beeinträchtigt werden kann. Jedes Straf-
oder Disziplinarverfahren gegen einen Abgeordneten und jede Haft oder sonstige
Beschränkung der persönlichen Freiheit wird auf Verlangen des Volkstages für
die Dauer der Mitgliedschaft aufgehoben. Art. 22 –
Die Abgeordneten sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft
als Abgeordnete Tatsachen anvertrauen, oder denen sie in Ausübung ihres Berufs
als Abgeordnete solche anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das
Zeugnis zu verweigern. Auch hinsichtlich der Beschlagnahme von Schriftstücken
stehen sie den Personen gleich, die ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht
haben. Eine
Durchsuchung oder Beschlagnahme darf in den Räumen des Volkstages nur mit
Zustimmung des Präsidenten des Volkstages vorgenommen werden. Art. 23 –
Die Abgeordneten erhalten Entschädigung nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes.
Art. 24 –
Beamte, Angestellte und Arbeiter bedürfen zur Ausübung ihres Amtes als Mitglied
des Volkstages, der Kreis- und Gemeindevertretungen, der Ämter und Ausschüsse
keines Urlaubs. Ist einer
der Genannten in einem Wahlvorschlag als Bewerber aufgestellt, so ist ihm vom
Zeitpunkt der Anordnung der Wahl ab der zur Vorbereitung der Wahl erforderliche
Urlaub zu gewähren. III.
DER SENAT Art. 25 –
Der Senat besteht aus dem Präsidenten als Vorsitzenden, dem stellvertretenden
Präsidenten als stellvertretenden Vorsitzenden und 20 Senatoren. Der
Präsident und sieben Senatoren im Hauptamte werden auf vier Jahre vom Volkstag
gewählt. Die Wahl erfolgt frühestens sechs Monate und spätestens zwölf Monate
nach Beginn der Amtsdauer des Volkstages. Die Gewählten treten ihre Ämter ein
Jahr nach Beginn der Amtsdauer des wählenden Volkstages an. Scheidet einer der
Gewählten durch Tod oder aus sonstigen Gründen vorzeitig aus, so findet eine
etwaige Ersatzwahl nur für den Rest der Amtsdauer des Ausscheidenden statt. Die
Amtsdauer der von dem ersten Volkstage gewählten endigt ein Jahr nach Beginn
der Amtsdauer des zweiten Volkstages. Der
stellvertretende Präsident und 13 Senatoren im Nebenamt werden auf unbestimmte
Zeit vom Volkstage gewählt. Die Wahl ist
geheim und geschieht durch Abgabe von Stimmzetteln. Gewählt ist, wer die
Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Wird die unbedingte Stimmenmehrheit
bei der ersten Abstimmung nicht erzielt, so ist unter den beiden Personen, die
die meisten Stimmen erhalten haben, abermals zu wählen. Erhalten bei der
Stichwahl beide Bewerber die gleiche Stimmenzahl, so entscheidet das vom
Präsidenten des Volkstages zu ziehende Los. Art. 26 –
Wählbar zum Senatsmitglied ist, wer das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet
hat. Eine Wiederwahl ist zulässig. Nicht
wählbar ist: a) wer
entmündigt oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist oder unter vorläufiger
Vormundschaft steht; b) wer
infolge eines rechtskräftigen Urteils der bürgerlichen Ehrenrechte ermangelt; c) wer sich
im Konkurse befindet. Art. 27 –
Eine Verpflichtung zur Annahme der Wahl zum Mitgliede des Senates besteht
nicht. Auch können die Senatsmitglieder jederzeit aus dem Senat ausscheiden. Art. 28 – In
der nächsten nach der Wahl oder im Falle des Art.s 25, Absatz II, Satz 3 nach
dem Amtsantritte stattfindenden Sitzung des Volkstages wird das in den Senat
eintretende Mitglied in Gegenwart des Senats durch den Präsidenten des Senats
oder dessen Stellvertreter in sein Amt eingeführt. Das Senatsmitglied hat durch
Handschlag zu geloben: "Ich
werde die mir als Mitglied des Senats obliegenden Pflichten getreulich
erfüllen, mein Amt gewissenhaft führen, die Verfassung und die Gesetze
beobachten, verschwiegen sein in allem, was geheimzuhalten mir geboten wird,
und das Wohl der Freien Stadt Danzig nach besteh Kräften fördern." Die
Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig. Art. 29 –
Die Mitglieder des Senats im Nebenamte bedürfen zu ihrer Amtsführung des
Vertrauens des Volkstages und sind diesem für ihre Amtshandlungen
verantwortlich. Ein Mitglied
des Senats im Nebenamte, dem der Volkstag durch einen Beschluß sein Vertrauen
entzieht, scheidet aus dem Senat aus. Art. 30 –
Jedes Senatsmitglied scheidet aus dem Senat aus, wenn einer der seine Wählbarkeit
ausschließenden Fälle des Art.s 26 eintritt. Art. 31 –
Tritt der gesamte Senat zurück, so hat er bis zur Wahl eines neuen Senats die
Geschäfte weiterzuführen. Art. 32 –
Wegen schuldhafter Verletzung der Verfassung oder eines Gesetzes kann ein
Mitglied des Senats auf Beschluß des Volkstages angeklagt werden. Der Antrag
auf Erhebung der Anklage muß von mindestens einem Viertel der Mitglieder des
Volkstages unterzeichnet sein. Die Entscheidung erfolgt durch das Oberste
Gericht der Freien Stadt. Das Nähere
wird durch besonderes Gesetz geregelt. Art. 33 –
Die Mitglieder des Senats im Hauptamte beziehen das durch Gesetz festgesetzte
Gehalt. Über ihr Ruhegehalt und die Hinterbliebenenversorgung ergeht ein
besonderes Gesetz. Die
Mitglieder des Senats im Nebenamte erhalten eine durch besonderes Gesetz
festgesetzte Aufwandsentschädigung. Art. 34 –
Die Mitglieder des Senats im Hauptamte dürfen kein anderes öffentliches Amt und
ohne Genehmigung des Senats auch keine sonstige Berufstätigkeit, die im Nebenamt
ein öffentliches Amt nur mit Genehmigung des Senats ausüben. Die
Zugehörigkeit zu dem Verwaltungs- und Aufsichtsrat einer auf Erwerb gerichteten
Gesellschaft bedarf der Zustimmung des Senats. Art. 35 –
Der Senat regelt seinen Geschäftsgang und die Verteilung der Geschäfte unter
seine Mitglieder. Art. 36 –
Der Präsident des Senats leitet und beaufsichtigt den gesamten Geschäftsgang
der Verwaltung. In allen Fällen, wo die vorherige Beschlußfassung durch den
Senat einen nachteiligen Zeitverlust verursachen würde, muß der Präsident die
dem Senat obliegenden Geschäfte im Einvernehmen mit dem stellvertretenden
Präsidenten oder in dessen Behinderung mit dem dienstältesten Senator vorläufig
allein besorgen, jedoch dem Senat in der nächsten Sitzung zur Bestätigung oder
anderweitigen Beschlußfassung Bericht erstatten. Art. 37 –
Die Sitzungen des Senats sind nicht öffentlich. Der Senat ist beschlußfähig,
wenn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder zugegen ist. Die Beschlüsse werden
nach Stimmenmehrheit gefaßt bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des
Vorsitzenden. An der
Beratung und Abstimmung über solche Gegenstände, die Eigenangelegenheiten eines
Mitgliedes oder seiner Angehörigen berühren, darf das Mitglied nicht
teilnehmen; es muß sich während der Beratung aus dem Sitzungssaal entfernen. Art. 38 –
Der Senat beschließt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber den
Volkstage die Verantwortung. Art. 39 –
Der Senat ist die oberste Landesbehörde. Insbesondere hat er: a) die
Gesetze innerhalb eines Monats nach ihrem verfassungsmäßigen Zustandekommen zur
verkünden und die zu ihrer Ausführung notwendigen Verordnungen zu erlassen; b) die
Landesverwaltung selbständig im Rahmen der Verfassung, der Gesetze und des
Staatshaushaltsplanes zu führen und die Aufsicht über sämtliche Landesbehörden
auszuüben; c) den
Entwurf des Haushaltsplanes aufzustellen; d) das
Eigentum und die Einkünfte des Staates zu verwalten, die Einnahmen und Ausgaben
anzuweisen und die Rechte des Staates zu vertreten; e) die Beamten
zu ernennen, soweit nicht durch Verfassung oder Gesetz etwas anderes
vorgeschrieben ist; f) im Rahmen
der Verfassung und der Gesetze für die Sicherheit und das Gemeinwohl des
Staates und aller Staatsangehörigen zu sorgen und die hierzu erforderlichen
Vorschriften zu erlassen. Art. 40 –
Dem Senat steht der Erlaß von Strafen im Gnadenwege zu. Art. 41 –
Der Senat vertritt die Freie Stadt Danzig insoweit, als dies nicht den
Bestimmungen widerspricht, welche - in
Übereinstimmung mit Art. 104, Ziffer 6 des Friedensvertrages von
Versailles - die
Leitung der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt Danzig durch die
polnische Regierung sichern. Urkunden
werden im Namen der Freien Stadt Danzig von dem Präsidenten oder dem
stellvertretenden Präsidenten und von einem weiteren Mitgliede des Senats
unterzeichnet. Art. 42 –
Der Senat der Freien Stadt Danzig hat dem Völkerbund auf dessen Verlangen
jederzeit amtliche Auskunft über die öffentlichen Angelegenheiten der Freien
Stadt Danzig zu erteilen. IV.
DIE GESETZGEBUNG Art. 43 –
Ein Gesetz kommt durch übereinstimmenden Beschluß von Volkstag und Senat
zustande. Stimmt de
Senat einem vom Volkstage gefaßten Beschlusse binnen zwei Wochen nicht zu, so
geht die Vorlage an den Volkstag zurück. Bleibt der
Volkstag bei seinem Beschlusse, so hat der Senat binnen einem Monat sich diesem
Beschlusse zu fügen oder die Entscheidung des Volkes (Volksentscheid)
anzurufen. Art. 44 –
Die Gesetze treten mit dem achten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem
das betreffende Stück des Gesetzblattes für die Freie Stadt in Danzig
ausgegeben ist, wenn nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Art. 45 –
Ein Gesetz ist auch erforderlich für: a) die
jährliche Feststellung des Staatshaushaltsplanes; b) die
Aufnahme von Anleihen; c) die
Einführung von Monopolen und die Erteilung von Privilegien; d) die
Veränderung der Grenzen der Kommunalverbände; e) den allgemeinen Erlaß von Strafen; f) den Abschluß
von Verträgen mit anderen Staaten. Jedoch darf diese Bestimmung keine
Beschränkung derjenigen Bestimmungen zur Folge haben, welche - in
Übereinstimmung mit Art. 104, Ziffer 6 des
Friedensvertrages von Versailles - die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten
der Freien Stadt Danzig durch die polnische Regierung sichern. Art. 46 –
Gesetzesvorlagen werden von dem Senat oder aus der Mitte des Volkstages oder
von der durch Gesetz zu schaffenden Berufsvertretung eingebracht. Gesetzesvorlagen
wirtschaftspolitischer oder sozialpolitischer Art sind der Berufsvertretung zur
Begutachtung vorzulegen. Art. 47 –
Ein Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Wahlberechtigten es
unter Vorlegung eines ausgearbeiteten Gesetzentwurfes verlangt. Der Entwurf ist
von dem Senat unter Darlegung seiner Stellungnahme dem Volkstage vorzulegen.
Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der Entwurf von dem Volkstage
unverändert angenommen wird. Art. 48 –
Über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und über Besoldungsordnungen findet
ein Volksentscheid nur auf Verlangen des Senats statt. An einem
Volksentscheid können alle zum Volkstag wahlberechtigten Staatsangehörigen
teilnehmen. Es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Durch einen
Volksentscheid kann ein Beschluß des Volkstages nur dann außer Kraft gesetzt
werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung
beteiligt. Das
Verfahren beim Volksentscheid wird durch Gesetz geregelt. Art. 49 –
Ein Beschluß des Volkstages auf Abänderung der Verfassung kommt nur zustande,
wenn die Abänderung in zwei mindestens einen Monat auseinanderliegenden
Lesungen mit Zweidrittelmehrheit und bei Anwesenheit von mindestens Zweidrittel
der gewählten Abgeordneten beschlossen wird. Soll durch
Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die
Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich. Abänderungen
der Verfassung können erst in Kraft treten, nachdem sie dem Völkerbund
mitgeteilt sind und dieser erklärt hat, daß er gegen die Abänderungen keine
Einwände zu erheben hat. V.
DIE VERWALTUNG Art. 50 –
Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr im voraus
veranschlagt und im Staatshaushaltsplan zusammengestellt werden. Das
Haushaltsjahr läuft vom 1. April bis zum 31. März. Art. 51 –
Ist bis zum Schluß des Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr
nicht durch Gesetz festgestellt, so ist der Senat verpflichtet, den Entwurf
eines vorläufigen Haushaltsgesetzes vorzulegen. Er ist nur berechtigt, die
bisherigen Steuern und sonstigen Auflagen noch für sechs Monate nach Ablauf des
Rechnungsjahres zu erheben, sowie solche Ausgaben zu leisten, die zur Erhaltung
gesetzlich bestehender Einrichtungen oder zur Durchführung gesetzlich
beschlossener Maßnahmen erforderlich sind; er ist ferner ermächtigt, die
rechtlich begründeten Verpflichtungen des Staates zu erfüllen und
Bautenbeschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen, für die durch den
Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Bewilligungen stattgefunden haben. Art. 52 – Im
Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der
Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Art. 53 –
Beschlüsse des Volkstages, welche Mehrausgaben außerhalb des
Staatshaushaltsplanes zur Folge haben, müssen zugleich über die Deckung dieser
Mehrausgaben Bestimmung treffen. Art. 54 –
Zur Überschreitung des Haushaltes und zu einer außerplanmäßigen Ausgabe ist die
nachträgliche Genehmigung des Volkstages erforderlich. Sie darf nur im Falle
eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Art. 55 –
Die Rechnungen über den Staatshaushaltsplan werden von einer unabhängigen
Rechnungsstelle geprüft und festgestellt. Die allgemeine Rechnung über den
Staatshaushalt jedes Jahres einschließlich einer Übersicht der Staatsschulden
wird mit den Bemerkungen der Rechnungsstelle zur Entlastung des Senats dem
Volkstage vorgelegt. Art. 56 –
Die Zustimmung des Finanzrates ist einzuholen: a) zu neuen
Steuern; b) zur
Aufnahme von Anleihen und Übernahme von Bürgschaften; c) zu
Ausgaben, für welche noch keine Deckung vorhanden ist, oder für welche die
Deckung durch Anleihe erfolgen soll. Gibt der
Finanzrat seine Zustimmung nicht, so hat er dies innerhalb zweier Wochen dem
Senat mitzuteilen und innerhalb weiterer zwei Wochen schriftlich zu begründen.
Der Volkstag hat dann nochmals Beschluß zu fassen. Die
Zusammensetzung und das Verfahren des Finanzrates wird durch ein besonderes
Gesetz geregelt. Art. 57 –
Das Eisenbahn-, Post- und Telegraphen- sowie Fernsprechwesen der Freien Stadt
ist, unbeschadet des nach Art. 104 des Friedensvertrages vom 28. Juni 1919
geschlossenen Abkommens, Angelegenheit des Staates. Art. 58 –
Zur dauernden Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Geschäftszweige werden
Ämter gebildet, an denen wahlberechtigten Staatsangehörige als Mitglieder
ehrenamtlich beteiligt werden können. Die Ämter
sind in allen Beziehungen dem Senat unterstellt. Das Nähere
wird durch Gesetz bestimmt. Art. 59 –
Zur Erledigung vorübergehender Aufgaben können Ausschüsse gebildet werden. Art. 60 –
Soweit auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarung zur Verwaltung von Anlagen und
Einrichtungen und zur Erledigung dauernder oder vorübergehender Aufgaben
internationale Ausschüsse zu bilden sind, werden die von der Freien Stadt zu
bestellenden Vertreter von dem Volkstage gewählt. Der Volkstag kann die
Bestellung der Vertreter einem seiner Ausschüsse oder dem Senat übertragen. VI.
DIE RECHTSPFLEGE Art. 61 –
Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Art. 62 –
Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter
entzogen werden. Art. 63 –
Die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte wird durch Gesetz bestimmt. Art. 64 –
Die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit werden auf Lebenszeit durch einen
besonderen Ausschuß gewählt, der gebildet wird aus dem Präsidenten und einem
Mitgliede des Senats, den zwei Präsidenten des Volkstages, dem
Gerichtspräsidenten und drei Richtern, die von sämtlichen Richtern, und zwei
Rechtsanwälte, die von sämtlichen Rechtsanwälten der Freien Stadt Danzig
gewählt werden. Die nähere Regelung, insbesondere der Vertretung verhinderter
Mitglieder des Ausschusses, der Wahlordnung und der Abstimmung, erfolgt durch
Gesetz. Art. 65 – Die
Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur
aus den Gründen und unter den Formen, die die Gesetze bestimmen, dauernd oder
zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand
versetzt werden. Das Gesetz kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung
Richter in den Ruhestand treten. Die
vorläufige Amtsenthebung, die kraft Gesetzes eintritt, wird hierdurch nicht
berührt. Bei einer
Veränderung in der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können
unfreiwillige Versetzungen an ein anderes Gericht oder Entfernungen vom Amt,
jedoch nur unter Belassung der vollen Dienstbezüge, durch den in Art. 64
bezeichneten Ausschuß erfolgen. Auf
Handelsrichter, Schöffen und Geschworene finden diese Bestimmungen keine
Anwendung. Art. 66 –
Die Voraussetzungen für die Wählbarkeit der Richter und ihre Amtsverhältnisse
werden durch ein besonderes Gesetz bestimmt, das nur in den Formen des Art.s 49
abgeändert werden kann. VII.
DIE KOMMUNALVERBÄNDE Art. 67 –
Das Staatsgebiet zerfällt in Stadtkreise und Landkreise. Art. 68 –
Die Landkreise, die Städte und die Gemeinden haben nach Maßgabe besonderer
Gesetze Selbstverwaltung unter Aufsicht des Senats; es können ihnen auch
Geschäfte der Staatsverwaltung übertragen werden. Art. 69 –
Die Stadt Danzig ist eine selbständige Gemeinde des Staates mit eigenem
Vermögen. Die
Gemeindeangelegenheiten der Stadt Danzig gelten als Angelegenheiten des Staates
und werden von Senat und Volkstag geleitet. Zur
Beschlußfassung über Gemeindeangelegenheiten der Stadt Danzig wird vom Volkstag
aus seiner Mitte und aus anderen Angehörigen der Stadt Danzig eine
Stadtbürgerschaft gewählt. Die Zusammensetzung und Zuständigkeit regelt ein
besonderes Gesetz. Art. 70 –
Die Grundsätze für die Wahlen zum Volkstag gelten auch für die Stadt-, Kreis-
und Gemeindewahlen; jedoch ist die Wahlberechtigung von halbjährigem Aufenthalt
anhängig. Zweiter
Hauptteil. Grundrechte und Grundpflichten. Art. 71 –
Die Grundrechte und Grundpflichten bilden Richtschnur und Schranke für die
Gesetzgebung, die Rechtspflege und die Verwaltung im Staat. I.
VON DEN PERSONEN Art. 72 –
Die Staatsangehörigkeit wird nach den Bestimmungen eines Gesetzes erworben und
verloren. Die
Prinzipien des durch diesen Art. vorgesehenen Gesetzentwurfes werden dem
Völkerbund spätestens am 23. Mai 1921 zur Prüfung unterbreitet. Art. 73 –
Alle Staatsangehörigen der Freien STadt sind vor dem Gesetz gleich.
Ausnahmegesetze sind unstatthaft. Männer und
Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Öffentlich-rechtliche
Vorrechte oder Nachteile der Geburt, des Standes oder Glaubens bestehen nicht. Titel -
abgesehen von akademischen Graden - dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein
Amt oder einen Beruf bezeichnen. Orden und
Ehrenzeichen dürfen von der Freien Stadt nicht verliehen werden. Kein
Danziger Staatsangehöriger darf Titel oder Orden annehmen. Adelsbezeichnungen
gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden. Art. 74 –
Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder
Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf
Grund von Gesetzen zulässig. Personen,
denen die Freiheit entzogen wird, sind spätestens am darauffolgenden Tage in
Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus welchen Gründen die Entziehung
der Freiheit angeordnet worden ist; unverzüglich muß ihnen Gelegenheit gegeben
werden, Einwendungen gegen die Entziehung ihrer Freiheit vorzubringen. Art. 75 –
Alle Staatsangehörigen genießen Freizügigkeit in der Freien Stadt und haben das
Recht, sich an einem beliebigen Orte aufzuhalten und niederzulassen,
Grundstücke zu erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben. Einschränkungen
bedürfen eines Gesetzes. Art. 76 –
Jeder Staatsangehörige ist berechtigt, nach anderen Ländern auszuwandern. Die
Auswanderung kann nur durch Gesetz beschränkt werden. Dem Auslande
gegenüber haben alle Staatsangehörigen inner- und außerhalb des Staatsgebietes
Anspruch auf den Schutz des Staates. Kein Staatsangehöriger
darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung überliefert
werden. Art. 77 –
Auf Kosten der Allgemeinheit geschaffene staatliche Einrichtungen, die der
inneren Kolonisation dienen, dürfen nicht zu ungunsten einer bestimmten
Nationalität verwendet werden. Art. 78 –
Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind
unverletzlich. Ausnahmen können nur durch Gesetz zugelassen werden. Art. 79 –
Jeder hat das Recht, innerhalb der gesetzlichen Schranken seine Meinung durch
Wort, Schrift oder in sonstiger Weise zu äußern. An diesem Recht darf ihn kein
Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und er darf wegen der Ausübung
dieses Rechts in keiner Weise benachteiligt werden. Eine Zensur
findet nicht statt. Für Lichtspiele können durch Gesetz abweichende
Bestimmungen getroffen werden. Zur Bekämpfung de Schmutz- und Schundliteratur
sowie zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen
sind gesetzliche Maßnahmen zu treffen. Art. 80 –
Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens unter dem besonderen Schutz des
Staates. Sie beruht auf Gleichberechtigung der Geschlechter. Kinderreiche
Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge. Die Mutterschaft hat
Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates. Art. 81 –
Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen
Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren
Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht. Art. 82 –
Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen
für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie
den ehelichen. Art. 83 –
Die Jugend ist gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige und körperliche
Verwahrlosung zu schützen. Fürsorgemaßregeln im Wege des Zwanges können nur auf
Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Art. 84 –
Alle Staatsangehörigen haben das Recht, sich ohne Anmeldung und ohne besondere
Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem
Himmel sind anmeldepflichtig und können bei unmittelbarer Gefahr für die
öffentliche Sicherheit verboten werden. Zum Schutze des Volkstages können
besondere Bestimmungen erlassen werden. Kirchliche Umzüge sind nicht anmeldepflichtig.
Art. 85 –
Alle Staatsangehörigen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht
zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dieses gilt auch für
religiöse Vereine und Gesellschaften. Jedem Verein steht der Erwerb der Rechtsfähigkeit
nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts frei. Sie darf nicht aus dem
Grunde versagt werden, daß er einen politischen, sozialpolitischen oder
religiösen Zweck verfolgt. Art. 86 –
Die Wohnung jedes Staatsangehörigen ist für ihn eine Freistätte und
unverletzlich. Ausnahmen sind nur auf Grund von Gesetzen zulässig. Art. 87 – Es
ist Pflicht jedes Staatsangehörigen, die Verfassung gegen gesetzwidrige
Angriffe zu schützen. Art. 88 –
Alle Staatsangehörigen ohne Unterschied tragen im Verhältnis ihrer Mittel zu
allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze bei. Art. 89 –
Alle Staatsangehörigen sind verpflichtet, nach Maßgabe des Gesetzes persönliche
Dienste für den Staat und die Gemeinde zu leisten. Art. 90 –
Alle Staatsangehörigen haben nach Maßgabe der Gesetze die Pflicht zur Übernahme
ehrenamtlicher Tätigkeiten. II.
VON DEN BEAMTEN Art. 91 – Zu
den öffentlichen Ämtern sind alle männlichen und weiblichen Staatsangehörigen
entsprechend ihrer Befähigung und ihrer Leistungen zugelassen. Unverzüglich
nach dem Inkrafttreten der Verfassung der Freien Stadt sind besondere Gesetze
über das Beamtenrecht und die -besoldung zu erlassen. Die bestehenden
Beamtenvertretungen sind zu den Vorarbeiten für diese Gesetze hinzuzuziehen. Art. 92 –
Die Beamten werden auf Lebenszeit angestellt, soweit nicht durch die Verfassung
oder durch ein Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Ruhegehalt und
Hinterbliebenenversorgung werden gesetzlich geregelt. Die wohlerworbenen Rechte
der Beamten sind unverletzlich. Für die vermögensrechtlichen Ansprüche der
Beamten steht der Rechtsweg offen. Die Beamten
können nur unter gesetzlich bestimmten Voraussetzungen und Formen vorläufig
ihres Amtes enthoben, entlassen, einstweilig oder endgültig in den Ruhestand
oder in ein anderes Amt mit geringerem Gehalt versetzt werden. Gegen jedes
dienstliche Straferkenntnis muß ein Beschwerdeweg und die Möglichkeit eines
Wiederaufnahmeverfahrens eröffnet sein. In die Nachweise über die Person des
Beamten sind Eintragungen von ihm ungünstigsten Tatsachen erst vorzunehmen,
wenn dem Beamten Gelegenheit gegeben war, sich zu äußern. Dem Beamten ist
Einsicht in seine Personalnachweise zu gewähren. Art. 93 –
Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei. Ihnen steht
Freiheit ihrer politischen Gesinnung und Vereinigungsfreiheit zu. Sie dürfen
hierin nicht beeinträchtigt werden. Art. 94 –
Die Beamten erhalten nach näherer gesetzlicher Bestimmung besondere
Beamtenvertretungen. Art. 95 –
Die Lehrer und Lehrerinnen der öffentlichen Schulen sind unmittelbare
Staatsbeamte. Die Schulunterhaltungspflicht wird dadurch nicht berührt. III.
RELIGION UND RELIGIONSGESELLSCHAFTEN Art. 96 – Es
besteht volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsübung
wird gewährleistet und steht unter staatlichem Schutze. Der Genuß bürgerlicher
und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind
unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemand ist
verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden dürfen
nur soweit nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft fragen, als
davon Rechte und Pflichten abhängen, und zu Zwecken einer gesetzlich
angeordneten statistischen Erhebung. Niemand darf
zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden. Wo in den
bestehenden Gesetzen die Eidesleistung unter Benutzung einer religiösen
Eidesform vorgesehen ist, kann die Eidesleistung rechtswirksam auch in der
Weise erfolgen, daß der Schwörende unter Weglassung der religiösen Eidesform
erklärt: "Ich schwöre". Im übrigen bleibt der in den Gesetzen
vorgesehene Inhalt des Eides unberührt. Den
Religionsgesellschaften, bei welchen eine Beteuerungsformel an Stelle des Eides
üblich ist, ist diese zu belassen. Art. 97 –
Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind,
sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten von ihren Mitgliedern
Steuern zu erheben. Art. 98 –
Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen
Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten
Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet. Art. 99 –
Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in Krankenhäusern,
Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die
Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei
jeder Zwang fernzuhalten ist. Art. 100 –
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der
Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. IV.
BILDUNG UND SCHULE Art. 101 –
Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährleistet
ihnen Schutz und ist verpflichtet, ihre Pflege weitgehend zu fördern. Art. 102 –
Das gesamte Schulwesen wird durch ein gesetz geregelt, das unter Mitwirkung der
bestehenden Vertretungen der Lehrerschaft vorbereitet wird. Das gesamte
Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates. Die Schulaufsicht wird durch
hauptamtlich tätige fachmännisch vorgebildet Beamte ausgeübt. Art. 103 –
Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die
Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende
Fortbildungsschule oder Fachschule für die männliche und weibliche Jugend bis
zum vollendeten 18. Lebensjahre. Die
Unterhaltung der öffentlichen Schulen ist Sache des Staates; er kann die
Gemeinden daran beteiligen. Der
Unterricht und die Lernmittel in der Volks- und Fortbildungsschule sind
unentgeltlich. Art. 104 –
Das öffentliche Schulwesen ist auf simultaner Grundlage organisch
auszugestalten. Vorhandene Schulen anderer Art bleiben bestehen. Berechtigten
Wünschen der Erziehungsberechtigten ist auch hinsichtlich von Neueinrichtungen
solcher Schulen Rechnung zu tragen, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb
nicht beeinträchtigt wird. Auf einer
für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das gesamte Volks-, mittlere und
höhere Schulwesen auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der
Lebensberufe maßgebend. Für die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule
sind neben dem Willen der Erziehungsberechtigten Anlage und Neigung des Kindes
maßgebend, nicht die wirtschaftliche Stellung seiner Eltern. Für
minderbemittelte tüchtige Kinder sind der Unterricht und die Lernmittel auch an
mittleren und höheren Schulen unentgeltlich. Für
minderbemittelte Tüchtige sind zum Besuche von Hochschulen und Universitäten
öffentliche Mittel bereitzustellen. Art. 105 –
Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der staatlichen
Genehmigung und unterstehen der staatlichen Gesetzgebung. Die Genehmigung darf
nur erteilt werden, wenn die Privatschule in ihrem Lehrziel und in ihren
Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht
hinter der öffentlichen Schule zurücksteht und eine Sonderung der Schüler nach
den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist
auch zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der
Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist. Private
Vorschulen dürfen nicht neu begründet, die bestehenden sollen aufgehoben
werden. Die
Aufhebung der bestehenden Privatschulen einschließlich der Vorschulen darf nur
gegen Entschädigung erfolgen. Das Nähere wird durch das Gesetz bestimmt. Art. 106 –
Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schule. Er wird in
Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgesellschaften unbeschadet des
Aufsichtsrechts des Staates erteilt. Die
Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher Verrichtungen
bleibt der Willenserklärung der Lehrer, das Fernbleiben von religiösen
Unterrichtsfächern und kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung
desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen
hat. Art. 107 –
Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, daß die
Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden. Art. 108 –
Staatsbürgerkunde ist Lehrgegenstand der Schulen. Jeder Schüler erhält bei
Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der Verfassung. Art. 109 –
Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft
genießen den Schutz und die Pflege des Staates. Es ist
Pflicht des Staates, die Abwanderung des Kunstbesitzes in das Ausland zu
verhüten. V.
WIRTSCHAFTSLEBEN Art. 110 –
Das Eigentum wird gewährleistet. Eine Enteignung kann nur auf gesetzlicher
Grundlage zum Wohle der Allgemeinheit und gegen angemessene Entschädigung
erfolgen, wegen deren im Streitfalle der Rechtsweg offen steht. Art. 111 –
Der Boden samt seinen Kräften und Schätzen ist unter ein Recht zustellen, das
jeden Mißbrauch verhütet und jeder Familie der Freien Stadt die Möglichkeit
erschließt, eine Wohnheimstätte oder bei beruflicher Vorbildung eine
Wirtschaftsheimstätte zu gewinnen, die ihrem Zweck dauernd gesichert ist. Kinderreiche
Familien, Kriegsgeschädigte und Invaliden der Arbeit sind bei dem zu
schaffenden Heimstättenrecht ganz besonders zu berücksichtigen. Der
unverdiente Wertzuwachs, der ohne eine Arbeits- oder Kapitalaufwendung auf das
Grundstück entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu machen. Art. 112 –
Durch besonderes Gesetz können gegen Entschädigung private wirtschaftliche
Unternehmungen in öffentliches Eigentum übergeführt werden, sofern das
Allgemeinwohl dieses erfordert. Art. 113 –
Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.
Alle Abreden und Maßnahmen, die diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern
suchen, sind rechtswidrig. Art. 114 –
Zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutze der Mutterschaft
und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und
Wechselfällen des Lebens einschließlich Erwerbslosigkeit schafft der Staat ein
umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten. Art. 115 –
Die Arbeiter und Angestellten bilden aus ihrer Mitte, für Arbeiter und
Angestellte getrennt, Betriebsausschüsse, die berufen sind, gleichberechtigt in
Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und
Arbeitsbedingungen mitzuwirken. Das Nähere regelt ein Gesetz. Die
beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt. Für Arbeiter
und Angestellte wird zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen
Interessen und zwecks Förderung der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der
produktiven Kräfte eine Kammer der Arbeit gemäß Art. 46 Absatz 2 gebildet. Schluß- und
Übergangsbestimmungen. Art. 116 –
Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 wird aufgehoben. Alle beim
Inkrafttreten dieser Verfassung im Gebiete der Freien Stadt Danzig geltenden
Gesetze und Verordnungen bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch diese
Verfassung oder durch Gesetz aufgehoben werden. Der Volkstag ist verpflichtet,
sofort nach seinem Zusammentreten einen Ausschuß einzusetzen, der sämtliche
seit dem 10. Januar 1920 erlassenen Verordnungen zu prüfen hat. Art. 117 –
Die Verfassunggebende Versammlung hat spätestens drei Monate der der Begründung
der Freien Stadt sich als ersten Volkstag mit Amtsdauer bis zum 31. Dezember
1923 zu erklären oder zu einem von ihr zu bestimmenden Zeitpunkt ihre Auflösung
zu beschließen und Neuwahlen anzuordnen; im letzteren falle bleibt sie bis zum
Zusammentreten des ersten Volkstages als gesetzgebende Körperschaft bestehen. Bis zur
Bildung des Senats führt der bei Begründung der Freien Stadt bestehende
Staatsrat als vorläufige Regierung die Geschäfte weiter. Die
Stadtverordnetenversammlung und der Magistrat der Stadt Danzig bleiben bis zur
Übernahme der Geschäfte durch die Stadtbürgerschaft und den Senat bestehen. FONTE: O. Ruthenberg, Verfassungsgesetze des Deutschen Reiches und der deutschen Länder nach dem Stande vom 1. Februar 1926, Vahlen, Berlin 1926. |
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